01 Bekanntschaften
Es war einer jener lauen Spätsommerabende, in denen die Grillen zirpten und die Kater maunzend um das Fenster der rolligen Katzendamen streiften. Einer jener Abende, an dem es früher abkühlte und die Sonne sich, müde von der Arbeit des Jahres und dieses speziellen Tages, früher zur Ruhe begab. Sie hatte die Welt freundlich und hell werden lassen, den blauen Himmel anstrahlen, Wolken und Nebel verdunsten und Wäsche trocknen müssen – ganz neben der Arbeit, den Menschen Wärme und gute Laune zu bringen. ‚So gesehen eine ganze Menge zu tun’, dachte ich mir und nickte ihr freundlich zum Abschied zu.
„Gute Nacht, Sonne, erhol dich gut, damit wir uns morgen auch noch sehen können“ sagte ich ihr leise hinterher und sah zu, wie sie langsam hinter dem Horizont verschwand. Dann stand ich auf, rückte die Gartenstühle zurecht, nahm das Tablett mit den leeren Gläsern und ging im Zwielicht des Abends zurück ins Haus. Die Küchentür stand wie immer weit offen bei mir. Diebe und Unholde fürchtete ich nicht, denn diese Gegend war für solche Berufsgruppen zu schwer erreichbar – und jeder Fremde fiel hier sofort auf.
Statistisch gesehen war ich die einzige allein stehende Einwohnerin auf der Insel mit dem schönen Namen Balje, ein winziger Fleck Erde, der rund 30 Höfe, einen kleinen Hafen mitsamt Marktplatz, Postamt und einem Tante-Emma-Laden beherbergte. Die Kinder zogen fort von hier, wenn sie großjährig wurden, nur die blieben, die die Höfe der Eltern übernehmen wollten, warum, war für jeden verständlich, der dort eine Weile blieb: Hier gab es kein Kino, keine Diskothek, McDonalds & Co. dachten gar nicht daran, hier Filialen zu eröffnen – die Zielgruppe war zu klein. Also kochte hier jeder für sich selbst, es sei denn er folgte einer Einladung, und Unterhaltung lieferten Nachbarn, Bücher, Fernseher und das gute alte Radio. Internet gab es hier selten, und ich war eine der wenigen, die es regelmäßig nutzten. Es funktionierte ganz gut über eine Satellitenverbindung, bei mir noch besser, da ich oben auf meinem Leuchtturm näher am Himmel und freier von Störungen war. Zumindest bildete ich mir das ein, ob das wirklich stimmte, hätte ich nicht mit Bestimmtheit sagen können.
Es hatte zwar rund 40 Jahre gedauert, aber ich verfolgte mein Ziel, in einer stillen Gegend am Meer zu leben, hartnäckig und ließ nicht nach und so war ich vor rund zwei Jahren endlich hier angekommen: Ich konnte ein altes Leuchtturmwärterhäuschen mitsamt Leuchtturm mein Eigen nennen, renovierungsbedürftig zwar, aber meins, und Stück für Stück arbeitete ich mit Hilfe einiger bekannter Handwerker alle bedenklichen Stellen wieder auf. Heute war kein Handwerker da, es war Wochenende und selbst die Fähre stellte dann ihren Betrieb ein, ein Umstand, der alle Einwohner verärgerte, denn gerade am Wochenende wären sie gerne mal ans Festland gefahren, hätten größere Einkäufe erledigt, Verwandte besucht und wären zur Messe gegangen. Die Jüngeren wollten etwas anderes sehen, tanzen, essen gehen, Opern oder Musicals anschauen – oder sich auch einen passenden Lebenspartner suchen. Die Motivationen waren mannigfaltig, aber der alte Piet, der Inhaber der Fähre stellte sich stur. „Am Tag des Herrn sollst du ruhen und nicht vergnügte Dinge tun“, pflegte er denen entgegenzuhalten, die ihn darauf ansprachen. Bei ihm hörte sich das eher so an: „Äam Toag des Heärn sollsu ruhun.. un nech vergnügde Dingä tuon“. Hamburger war er, und er pflegte seinen Dialekt, während sich der Rest der Insulaner um ein gepflegtes Hochdeutsch bemühte. Piets Ausspruch war für die meisten meiner Nachbarn eine reine Provokation, und heimlich ärgerten sie sich fast schwarz, dass sie ihm nicht beweisen konnten, dass er gerade durch diesen merkwürdigen Fahrplan die Kirchen sabotierte, denn schließlich konnte so niemand zum Festland um dort einer Messe beizuwohnen. Piet war eins jener Originale, die sich trotz Ecken und Kanten aalglatt durchs Leben schlängelten – jeder wusste, dass er ein Filou war, niemand aber konnte ihm etwas beweisen geschweige denn böse sein. Die Sorte Mensch, die ich mochte, und daher lud ich Piet immer auf einen Kaffee und nen Kööm ein, wenn er bei mir die Post vorbeibrachte. Dass er meine Post abfing und mir persönlich brachte, hatten wir gleich am ersten Tag vereinbart, als er mich hier hinüber schipperte. Wir hatten gleich einen Draht zueinander, und so lehnte er sich auf der rund vierstündigen Fahrt irgendwann vertraulich zu mir herüber und raunte mir zu – nicht ohne sich auf dem sonst völlig menschenleeren Deck noch einmal misstrauisch umgesehen zu haben: „ Die Leute hier sind komisch. Die beobachten dich, kleine Deern, und wenn die erst mal deine Post in den Fingern haben…“ er schaute sich noch einmal um, theatralisch und mit sturmumwölktem Blick wandte er sich nach dieser Kunstpause wieder mir zu: „ Wasserdampf… du verstehst…?“
Ich sog erschrocken die Luft ein und flüsterte ihm, innerlich amüsiert zu: „Du meine Güte, Käpt’n Piet…. Abgründe tun sich ja auf, Abgründe!!“ Er nickte ernst und betrübt. „Das Beste wird sein, kleine Deern, wenn ich die Post gleich zu dir bring. Ist ja nicht weit, und den alten Leuchtturmwärter und seine Frau hab ich auch immer da besucht.“ Ich empfand das als eine ausgezeichnete Idee, denn so musste ich nicht immer zum Postamt runter und hatte gleich noch regelmäßig netten Besuch.
So saß er dann da, kippte in einem scheinbar unbeobachteten Moment den Kööm in die Kaffeetasse und nippte fortan nur am Kaffee, während wir miteinander über diese Insel, die Bewohner, das Leben und Gott und die Welt plauderten. Wenn er dann wieder weg war, schüttete ich die fast noch volle Tasse Kaffee weg und lächelte. Wir beide wussten, dass er weder Kööm noch Kaffee mochte, aber das gehörte sich für einen harten Kerl wie Käpt’n Piet nun mal.
Auch in der vergangenen Woche hatte er mich besucht. Hatte die Post abgeliefert. Ungewöhnlich still und ernst war er, rührte in seiner Kaffeetasse herum und ließ sich den Dunst des heißen Kaffees um die Nase wehen. Ich saß ihm gegenüber und betrachtete ihn. Sein von Wind und Wetter gegerbtes Gesicht musste einmal recht attraktiv auf junge Damen gewirkt haben, denn noch immer konnten die tiefen Falten und die raue Haut seinen Charme nicht verdecken. Durch die tägliche Arbeit auf seiner Fähre war sein Körper gut durchtrainiert und auch wenn er sein Alter nicht leugnen konnte, war noch so viel Dynamik in ihm, um etliche Frauen dazu zu bringen ihm nachzuschauen.
Am meisten mochte ich seine ständig zerzausten Haare, die bereits mehr grau als blond aufwiesen und ihm in die Stirn fielen, wie um seine klugen Augen zu verdecken, die immer sagten, was er fühlte. Heute drückten sie Trauer aus, Bedauern und Nachdenklichkeit. Irgendetwas musste geschehen sein, und ich fragte ihn danach. „Ach min Deern… das ist was, was du nicht verstehen wirst. Die Katze muss man selbst erlebt haben. Aber nun ist sie weg, und ich weiß, dass auch meine Zeit nu bald gekommen sein wird.“ Diesmal war meine Erschrockenheit nicht gespielt, als ich nachhakte, was das denn dort auf sich habe, mit der Katze und seiner Zeit.“ Er aber schüttelte nur seinen Kopf und schaute zu Boden. „Du wirst sie kennen lernen, denn das hat sie mir noch gesagt.“ Eine scheinbare Unendlichkeit sah er mich an, schweigend, prüfend, und dann nickte er. „Achte auf eine Katze mit Hut“ lächelte er noch, stand auf und ließ mich dort sitzen, völlig verwirrt und gleichzeitig traurig, denn ich ahnte, dass er nicht mehr wieder kommen würde.
Tags darauf teilte mir die Dame vom Postamt mit, dass Käptn Piet das Zeitliche gesegnet hatte. Er hatte sich an diesem Abend, an dem er sich von mir verabschiedete, in seine Hängematte auf seiner Fähre gelegt, die Hängematte, die er an Deck hatte anbringen lassen, damit er abends noch die Sterne am Himmel betrachten konnte. Dort war er eingeschlafen, still, einsam, für sich – so wie ich ihn kannte, und nicht wieder aufgewacht. Heute war die Beerdigung gewesen, und ein paar der Gäste waren noch mit zu mir gekommen, weil sie den Weg in ihr eigenes Heim gescheut hatten. Vor gut einer halben Stunde war auch der letzte Gast gegangen, und ich hatte die Stille in meinem kleinen Garten wieder einmal aufs Neue schätzen gelernt.
In der Küche spülte ich die Gläser und Tassen und bereitete mir ein leichtes Abendmahl. Ich aß ganz gemütlich, so wie immer, aber meine Gedanken weilten immer noch bei Piet, ich vermisste ihn. Ich beschloss, noch einen kleinen Gang durch meinen Garten zu machen. Die Blumenbeete waren mit fast antiken Küchenwerkzeugen dekoriert, und ich holte eins ums andere heraus, prüfte es auf seine Funktionsfähigkeit und arbeitete es wieder auf, damit es Platz in meiner Küche fand. Mit den Jahren war ich doch recht eigenwillig, was Elektrogeräte beim Kochen betraf, und so wanderten immer mehr Stromfresser auf den Müll und wurden durch die Funde ersetzt, die mir auf meiner Schatzsuche in die Hände gefallen waren. Also lief ich langsam über den Rasen, bewunderte die Blumen und Blüten und hielt Ausschau nach etwas, was mir noch nicht untergekommen war.
Als ich wieder zurück zu meiner Küchentür kam, stoppte ich abrupt: Mitten auf der Schwelle zu meinem kleinen Reich saß sie, die Vorderpfoten nebeneinander gestellt und den Schwanz mit der weißen Spitze ordentlich um sich gerollt und schien auf mich gewartet zu haben. Ihr Fell war rabenschwarz, bis auf die Brustplatte, die Schwanzspitze und die linke, vordere Pfote. Die strahlten mir in sauberem Weiß entgegen, blank geputzt und ordentlich in Richtung Strich gestriegelt, es schien fast so, dass sie sich für einen Antrittsbesuch besonders ansehnlich ausstaffiert hatte. Darauf wies auch der Hut hin, der auf ihrem Kopf thronte, in feurigem Rot, mit schwarzem Hutband und einer ansehnlichen Schnalle verziert. ‚Eine Katze mit Hut’, dachte ich erheitert. ‚Dass ich so was wirklich mal zu sehen bekomme…’
Schlagartig wurde ich ernst, denn ich erinnerte mich der Worte des alten Piets, die letzten, die er an mich richtete: „Achte auf die Katze mit Hut“ hatte er gesagt, und nun, am Abend seiner Beerdigung, saß sie bei mir, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt.
„Da brat mir doch einer nen Storch“, entfuhr es mir, ich war völlig konsterniert, kam mir vor als hätte ich eine Begegnung mit der dritten Art. Sie hob langsam den Kopf und sah mich aus schmalen Augen an, prüfend, als wolle sie erst einmal feststellen, ob ich es überhaupt wert sei, diesen Besuch von ihr zu erhalten. Dann stand sie gemächlich auf, drehte sich um, stolzierte in meine Küche und warf mir lässig über die Schulter entgegen: „ Storche fallen unter das Naturschutzgesetz. Die sollten Sie besser nicht Ihrem Speiseplan hinzufügen.“ Verblüfft folgte ich ihr, halb amüsiert darüber, wie zweifelsfrei sie sich selbst einlud, denn es sollte noch besser kommen. „Ich trinke am liebsten ein Schälchen Milch, und wenn Sie dann bitte noch die Güte hätten, ab und an ein Schälchen gekochtes Hühnerfleisch für mich bereit zu halten, wäre ich Ihnen zu äußerstem Dank verpflichtet.“
‚Aha’, dachte ich, ‚die Dame stellt Ansprüche’ und musste mir ein Schmunzeln verkneifen. Aber inmitten dieser Gedanken gefror mein Lächeln von allein: Eine Katze mit Hut war schon seltsam, aber…. „Warum kannst du … Verzeihung, können Sie sprechen?“
Elegant sprang sie mit einem Satz in meine Rattanschaukel, die ich mit auf die Insel gerettet hatte, mein Lieblingssessel und gleichzeitig das einzige Möbelstück, das ich nicht neu anschaffte, war es doch ein Geschenk von einer besonders lieben Freundin, die mich ab und an besuchen kam. Sie hob ihre weiße Pfote und begann sie intensiv zu putzen, als wäre meine Frage völlig nebensächlich und belanglos. In ihren Augen musste das wohl auch so sein, schließlich war es für sie nichts Besonderes, dass sie sprechen konnte. Nur ich war überrascht, und ungläubig sah ich ihr und ihrem Ritual zu. Als sie endlich ihr Werk vollbracht hatte, wandte sie, wenn auch nur kurz, ihre Aufmerksamkeit mir zu.
„Sie haben keine Milch im Haus, deute ich das richtig oder sind sie nicht gewillt, mir Ihre sprichwörtliche Gastfreundschaft anheim zu stellen?“
Ich holte tief Luft, stieß sie langsam aus und ging zum Kühlschrank.
„Wenn Sie die Milch aus dem Kühlschrank nehmen, empfehle ich sie ein wenig aufzuwärmen, denn kalte Milch vertrage ich überhaupt nicht, meine Gute.“
Die Stimme aus dem Hintergrund brachte mich langsam zur Weißglut, und ich drehte mich um und starrte zu ihr herüber: „Hat die Dame sonst noch Wünsche? Vielleicht noch bestimmte Präferenzen bezüglich des Schälchens?“
Ich war sicher, dass sie grinste. Ihre Schnurrhaare zuckten und sie zog die Augen zu zwei schmalen Schlitzen zusammen, ihre Stimme (Himmel, ich unterhielt mich tatsächlich mit einer Katze mit Hut!) klang sichtlich amüsiert, als sie mir gemächlich antwortete: „ Nun denn, wenn Sie mich so fragen… Porzellan wäre nicht schlecht. Plastik empfinde ich nahezu als unanständig.“
Ok, ich hatte es so gewollt. Ich hätte nicht fragen sollen. Und dennoch versuchte ich, ihr in ihrer Unverschämtheit einen Dämpfer zu versetzen. „Ich könnte Ihnen einen Blechnapf anbieten.“
Das nun folgende Schnauben hatte ich erwartet, und ich grinste mir heimlich eins, während ich die Milch vorsichtig aufwärmte. Natürlich nahm ich eine meiner guten Teeschalen, füllte sie zur Hälfte mit der erwärmten Flüssigkeit und mischte dann noch ein wenig Quellwasser hinzu.
Balje hatte einen unschlagbaren Vorteil gegenüber anderen Inseln. Hier gab es einen kleinen Fluss, der von einem winzigen Hügel entsprang und völlig salzfrei war. Der Legende nach war dieser entstanden, als die Insel einst von Piraten belagert wurde. Keiner konnte das Eiland verlassen um Trinkwasser vom Festland zu besorgen und so war der Hofverbund mit seinem Vorsitzenden beinahe gezwungen, den maßlosen Forderungen der Freibeuter zuzustimmen. Eine Gruppe jüngerer Kinder wurde im Wäldchen auf dem Hügel versteckt, und durch ein Unglück verloren sie ihre Lebensmittel an die wilden Tiere. So begannen sie vor lauter Hunger nach Wurzeln zu graben. Das Wunder geschah, und eine der Kinder stieß bei der Graberei auf eine Quelle. Das Wasser schoss laut der Legende im Hohen Bogen hervor und bedeckte die kleine Senke, bis ein kleiner See entstand, der irgendwann überlief und sich einen Weg bis zum Inselufer suchte. Die Einwohner waren gerettet, die Piraten mussten unverrichteter Dinge wieder abziehen.
Die Quelle gab es heute noch und jeder Einwohner bezog von dort sein Trinkwasser. Dies mischte ich nun in die Milch, um sie zu entfetten. Die kleine schwarze Gestalt im Hintergrund beobachtete jeden Handschlag von mir und begann zufrieden zu schnurren. Offensichtlich war sie mit meiner Rezeptur einverstanden und so setzte ich die Schale vor sie auf den Boden, sie sprang herunter und nippte daran, damenhaft, zierlich, so wie man es von einer Dame erwarten konnte.
„Darf ich denn nun eine Antwort auf meine Frage erwarten?“ setzte ich das begonnene Gespräch fort, bemüht, meine Neugier in Höflichkeit zu kleiden, und wieder hatte ich das Gefühl, dass ich sie amüsierte, als hätte sie mich durchschaut…
„Wenn es denn von so großer Wichtigkeit ist, werde ich Ihnen gerne Auskunft geben.“ Ich wollte sie abwiegelnd beschwichtigen, aber sie hob energisch eine Pfote und ließ sich nicht unterbrechen. „Nein nein, das geht ja allen so, die diese Eigenheit an mir feststellen können. Besser, wir bringen dieses Thema gleich vom Tisch, dann ist Ihr Misstrauen beseitigt und wir können uns interessanteren Themen widmen.“
Und so begann sie zu erzählen. Erzählte von ihrer Geburt neben der Quelle in den Wäldern, wie der warme Sommerwind ihr nasses Fell trocknete und sie die Geborgenheit des mütterlichen Fells suchte. Ihr Bericht ging weiter, über Spiele in den sonnenbeschienenen Wäldern, kühlen Nächten, die der ganze Wurf eng aneinander gekuschelt verbrachte und dem Schrecken des Fuchses, der ihre Mutter riss, viel zu früh, viel zu schnell. Die Jungen bemühten sich, beieinander zu bleiben, doch ohne die nährende Muttermilch verhungerte ein um das andere der kleinen Kätzchen. Sie schaffte es nur, weil sie sich vom Wasser der Quelle ernährte, den Fluss hinabwanderte und so an einer Menschensiedlung ankam. Warum sie das alles verstand, was dort gesprochen wurde, konnte sie auch nicht erklären, aber mit der Zeit lernte sie, den Menschen zu antworten, denen sie vertraute.
„Nicht alle können mich verstehen, aber bei manchen ist es so, dass sie die Fähigkeit dazu haben. Manchmal frage ich mich, ob nicht die Frage berechtigt wäre, warum sie es können, nicht, warum ich sprechen kann“ beendete sie ihren Bericht.
Ich saß da und dachte einen Moment nach.
Da hatte sie nicht ganz Unrecht. Wenn es wirklich so war, dass nicht alle die Katze mit Hut verstehen konnten – und das nahm ich ihr ab, denn sonst würde sie sicher schon von allen gejagt – warum dann ich? Ich überlegte, ob sie mir die Frage beantworten könnte, und ehe ich mich versah, hatte ich sie gestellt, war sie raus und schwebte langsam zwischen uns auf den Boden.
Sie sah mich an, prüfend, noch einmal, und ihre Schnurrhaare begannen wieder zu zucken. Ich ahnte, dass sie meine Frage als erheiternd empfand und dennoch ernst nahm.
„Nun kommen wir endlich zu einem interessanten Thema. Wie entwickelt man Glauben in Unmögliches? Ist es ein Traum, ist es Naivität? Oder ist es einfach die Offenheit, die manche Menschen dazu bringt, auch das zu glauben, was nicht sein darf?“
Ich überlegte nicht lange, denn genau dieses Thema war eines, das mich schon seit längerem bewegte. „Das Gute zu sehen und zu glauben ist nicht jedem gegeben. Ich denke, es liegt an den eigenen Erfahrungen. Je häufiger das Vertrauen verraten wurde, je häufiger man Enttäuschungen erlebt hat, desto misstrauischer und ungläubiger werden wir. Wer aber in frühen Jahren vertrauen konnte, durfte, der wird auch im hohen Alter immer noch daran glauben können, weil dieses Urvertrauen fest verankert blieb.“
„Und dennoch werden solche Menschen als versponnen abgetan, verlacht und nicht mehr ernst genommen. Warum glauben sie weiterhin?“
Wieder fiel mir die Antwort leicht. „Es ist wie Fahrradfahren. Das lernt man einmal, und danach kann man es immer, auch wenn man mal fällt.“ Ich erinnerte mich an eine Begebenheit mit einem meiner Söhne, als sie klein waren. Der kleine Mann war mit mir um die Wette heim gefahren, stolz darauf, sich mit seinem Rädchen schon in der großen Welt bewegen zu dürfen. Mitten im Eifer des Gefechtes verhaspelten sich seine Füße, das Fahrrad kippte und beide fielen gemeinsam um. Die Schrammen brannten höllisch, er weinte laut, und doch waren wir noch ein gutes Stück vom zu Hause entfernt. Erst wollte er schieben, traute seinem Rad, seinen Fähigkeiten nicht mehr. Aber plötzlich stieg er wieder auf, gab all seine Kraft und Energie darein, das „Rennen“ noch zu gewinnen. Er hatte das Vertrauen in seine Fähigkeiten nicht verloren, und so ging er auch weiter durch sein Leben. Er probierte aus, fiel, wütete – und stand wieder auf.
Ich hatte nicht bemerkt, dass ich diese Erinnerung laut erzählt hatte, aber die Katze mit Hut schaute mich an und nickte.
„Ich darf mich vorstellen“, sagte sie. „Mein Name ist Lady Hennie, der Name wurde mir in vielen Jahren angepasst.“
„Angepasst?“ lachte ich. „Wie bekommt man einen Namen angepasst?“
„Nun“, sie stand auf und streckte sich. „Das ist eine längere Geschichte, die ich Ihnen bei meinem nächsten Besuch berichten werde.“
Sie sprang von meinem Lieblingssessel, der nun ihr bevorzugter Platz sein würde und strich mir zum Dank einmal kurz um die Beine, bevor sie mit hocherhobenem Haupt aus meiner Küche stolzierte, das Versprechen eines Folgebesuches sorgsam auf meiner Türschwelle hinterlassend, in die Nacht hinaus.
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